Kolumne

Der Sturm vor der Ruhe: Warum Anleger optimistisch sein sollten

Wie wir die Welt sehen

Man kann mit Fug und Recht festhalten, dass es um die Welt bereits seit einiger Zeit nicht gerade zum Besten bestellt ist. Und das dürfte sich auf absehbare Zeit kaum ändern.

Verwerfungen aufgrund der COVID-19-Pandemie haben zu galoppierender Inflation, starken Zinssteigerungen, Lieferkettenstörungen, Energieknappheiten und ausufernden Lebenshaltungskosten geführt. Hinzu kommen die wohl größten geopolitischen Spannungen seit den dunkelsten Tagen des Kalten Kriegs.

Auch die Nachhaltigkeit lässt überall noch zu wünschen übrig. Die weitreichenden Risiken des Klimawandels sind nicht verschwunden. Ökosysteme und die Artenvielfalt verschlechtern sich nach wie vor rasant. Im Lebensmittel- und Agrarsektor scheinen viele Aspekte zunehmend überholt, nicht durchdacht und ungeeignet.

Angesichts dieser vielfältigen Bedrohungen könnten wir als Investoren und Weltbürger das Schlimmste befürchten. Wir sollten jedoch bedenken, dass die größte Herausforderung oft nicht darin besteht, wie wir mit den Ereignissen der Welt zurechtzukommen, sondern welches Bild wir uns davon machen.

Unsere Sichtweisen, Meinungen, Ängste und subjektiven Interpretationen bestimmen, wie wir Ereignisse verarbeiten. Sie haben auch maßgeblichen Einfluss auf unseren langfristigen finanziellen Erfolg. Denn wenn wir ihnen mehr Raum geben als vernünftigen Gedanken, können sie uns die Sicht auf unterschiedliche Realitäten verstellen.

In einer dieser Realitäten sind länger andauernde Turbulenzen bestimmende Merkmale des wachstumsorientierten Kapitalismus. Eine andere Realität ist, dass solide Anlageprinzipien in jeder Situation angewendet werden können. Und eine dritte Realität ist entscheidend: Gefahren gehen stets mit Chancen einher.

Zuversicht für weiteres Wachstum

Allgemein formuliert sollten langfristig orientierte Anleger bei Turbulenzen die Nerven bewahren. Ein Rückzug von den Märkten ist kaum jemals eine empfehlenswerte Vorgangsweise. Denn dadurch könnte man Erholungen verpassen.

Die Bank of America hat das vor Kurzem in einer Analyse verdeutlicht und historische Daten des S&P 500 über nahezu hundert Jahre untersucht. Ein Anleger, der in jedem Jahrzehnt seit 1930 die zehn besten Tage des Index verpasst hat, hätte einen Gesamtertrag von nur 28 Prozent erzielt – gegenüber nahezu 18.000 Prozent für einen Investor, der durchgehalten hat[1].

Eine weitere Analyse hat gezeigt, dass der S&P 500 in den 30 Jahren bis 2021 jährlich durchschnittlich um 10,7 Prozent zugelegt hat[2]. In diesem Zeitraum waren erhebliche Höhen und Tiefen zu beobachten, und auf katastrophale Jahre folgten besonders gute.

2002 gab der Index um 22,10 Prozent nach (vor allem, weil die Dot-Com-Blase platzte), erholte sich jedoch 2003 kräftig um 28,68 Prozent. 2008, am Höhepunkt der internationalen Finanzkrise, verlor der Index 37 Prozent, und 2009, als die Märkte die Tiefststände hinter sich ließen, erholte er sich um 26,46 Prozent.[3]

Jede Generation hat mit chaotischen Phasen an den Märkten zu kämpfen. Wenn man die Volatilitätsentwicklung des vergangenen Jahrhunderts betrachtet, zeigen sich Schocks wie die Weltwirtschaftskrise, der Zweite Weltkrieg und der Schwarze Montag anhand deutlicher Spitzen.[4]

Ebenso deutlich wird jedoch, dass der Trend insgesamt auf Wachstum hindeutet. Das allein sollte den Anlegern Zuversicht vermitteln – obwohl wir uns zurzeit einem „perfekten Sturm“ gegenübersehen.

Was, wann und wie

Dennoch sollte man nicht passiv und geduldig auf die Trendwende warten. Man muss die Chancen, die schwierige Umstände mit sich bringen, erkennen und ergreifen – und sie dürften für unterschiedliche Investoren einen unterschiedlichen Reiz haben.

Wer beispielsweise bald in den Ruhestand treten wird, dürfte möglicherweise einen anderen Ansatz verfolgen als jemand, der noch 40 Jahre zu arbeiten hat. Deshalb sollten Investoren bei der Portfoliooptimierung auf ihren eigenen Anlagehorizont achten.

Oder anders formuliert: Wir sollten überlegen, was und – ebenso wichtig – wann wir es erreichen wollen. Anhand dieser entscheidenden Fragen können wir uns dann Gedanken darüber machen, wie wir unsere Ziele erreichen könnten.

Investoren, die eher kurzfristig anlegen, könnten etwa auf Geldmarktfonds setzen. Diese Instrumente erzielen endlich wieder ansehnliche Erträge – nach einer jahrelangen Durststrecke mit einer Wertentwicklung von nahezu null, die 2021 in Kapitalabflüssen in Höhe von Milliarden US-Dollar gipfelte.[5]

Auch die Aussichten für Anleihen haben sich wieder verbessert. Inflationsgeschützte Instrumente wie TIPS (inflationsgeschützte US-Staatsanleihen) erzielen zwar kein spektakuläres Kapitalwachstum. Sie sind jedoch beliebte Anlagen geworden, um sich reale Renditen zu sichern, während sich die Zentralbanken bemühen, die Wirtschaft unter Kontrolle zu bringen.

Es kann sich auch auszahlen, die Asset-Allokation aus regionaler Sicht zu analysieren. Ein Beispiel ist der Nahe Osten: Der Reichtum der sechs Golfstaaten dürfte in den nächsten vier Jahren beträchtlich zunehmen, nicht zuletzt aufgrund der Sanktionen des Westens gegen Russland.[6]

Diversifikation und Umwälzungen

Auf längere Sicht dürften Aktien für viele Investoren ein großer Teil der Lösung sein, vor allem US-Titel. Die Ertragskraft von US-Unternehmen ist dank einer Kombination von Faktoren ungebrochen. Die USA verfügen über produktive und mobile Arbeitskräfte sowie eine innovative und abwechslungsreiche Unternehmenslandschaft. Hinzu kommt die unangefochtene Rolle des US-Dollars als Reservewährung der Welt.

Das bedeutet jedoch nicht, dass geografische Diversifikation nicht wünschenswert wäre. Ganz im Gegenteil: Sie ist entscheidend. Dennoch kann man nicht ignorieren, dass US-Aktien seit dem Zusammenbruch der Jahre 2007 und 2008 deutlich höhere kumulierte Erträge erzielt haben als andere Marktsegmente.

Neben Aktien können sich auch Immobilien und Infrastruktur gut für die langfristige Portfoliodiversifikation eignen. Auch diese Anlageklassen gelten als recht verlässlicher Inflationsschutz – vor allem, weil sie an den Verbraucherpreisindex und ähnliche Indizes gekoppelt sind.

Allerdings spricht hier einiges für eine selektive Vorgangsweise. Kürzerfristige Mietverträge, etwa für Mietobjekte, Hotels und Mehrfamilienhäuser, bieten eher Potenzial für regelmäßige Inflationsanpassungen.

Je nach Anlagehorizont könnten wir unsere Anlageentscheidungen auch daran ausrichten, wo wir die Märkte – und die Welt insgesamt – in einigen Jahrzehnten sehen. Dazu müssen wir erkennen, welche Umwälzungen unser Alltagsleben im Laufe der Zeit bestimmen dürften.

Auch hier stehen Krisen im Mittelpunkt. Umwälzungen sind die Folge von Innovation, und Innovation ist oft die Konsequenz außergewöhnlicher Umstände. Die Menschheit hat Schwierigkeiten schon immer durch Innovation überwunden. Diese Dynamik darf nicht nachlassen.

Eine gemeinsame Zukunft gestalten

Der Weg zur Netto-Null zeigt vielleicht mit am eindrucksvollsten, welches beispiellose Ausmaß an Innovation und Umwälzung jetzt nötig ist. Es wird allgemein anerkannt, dass der Übergang zu einer nachhaltigen Weltwirtschaft bis 2050 nur durch einen beispiellosen Wandel gelingt. Dafür werden Investitionen von Hunderten Billionen US-Dollar nötig sein.[7]

Eine radikale Reform des Nahrungsmittelsystems wird wahrscheinlich ein wesentlicher Bestandteil dieses Wandels sein. Lebensmittel- und Agrartechnologie – FoodTech und AgTech – treiben bereits eine weitreichende Umgestaltung voran.

Ein Beispiel ist Präzisionsfermentation – ein hochmoderner Prozess, bei dem Mikroorganismen so „programmiert“ werden, dass sie bestimmte Proteine, Enzyme, Vitamine, Fette oder andere Inhaltsstoffe produzieren. Im Jahr 2000 kostete es etwa 1 Mio. USD, ein Kilogramm eines bestimmten Moleküls auf Basis dieser Methode herzustellen. Bald könnte das für unter 10 USD gelingen. Dadurch könnte meiner Meinung nach  die Fleisch- und Milchwirtschaft, wie wir sie kennen, innerhalb weniger Jahre verschwinden.

Technologie liegt fast jeder Form der Umwälzung zugrunde. Der Vormarsch der Digitalisierung ist die Basis vieler etablierter und zukünftiger Wachstumsbereiche. Dazu zählen Cloud-Computing, Cybersicherheit, digitale Zahlungssysteme, Geofencing* und – wie wir in einer früheren Studie dargelegt haben – das Metaversum. Die Grenzen des Möglichen werden immer wieder neu definiert.

Zieht man all diese Dinge in Betracht, darf man durchaus wiederholen, dass es um die Welt nicht zum Besten bestellt ist – in vielerlei Hinsicht. Ebenso gerechtfertigt ist jedoch die Feststellung, dass jede Herausforderung, jede Krise, nicht nur Chancen bietet, sondern auch wegweisende Fortschritte ermöglicht.

Letzteres sollten wir uns vor Augen halten – wieder als Weltbürger und Investoren. Denn diese Sicht bestimmt, wie wir in die Zukunft blicken. Nicht zuletzt angesichts der gegenwärtigen Turbulenzen ist Vorsicht geboten. Ein gesundes Maß an fundiertem Optimismus ist jedoch ebenso gerechtfertigt.


Über den Autor:

Dr. Henning Stein ist Global Head of Thought Leadership sowie
Fellow bei Invesco Asset Management mit einem Cambridge Judge Business School Abschluss.


Dies ist ein Artikel aus unserem FINANCIAL PLANNING Magazin. Hier geht es zu der aktuellen Ausgabe:


Stand der Daten: 06.10.2022 sofern nicht anders angegeben. Herausgegeben von Invesco Asset Management Deutschland GmbH, An der Welle 5, 60322 Frankfurt am Main, Deutschland.  EMEA 2463948 /2022

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[1] Zum Beispiel: CNBC: „This chart shows why investors should never try to time the stock market“, 24. März 2021.

[2] Zum Beispiel: Motley Fool: „S&P 500 index fund average annual return rate“, 30. Juni 2022.

[3] Ebd.

[4] Zum Beispiel: Motley Fool: „Is today’s market more volatile than in the past?“, 22. Februar 2016.

[5] Zum Beispiel: Financial Times: „‚The return of cash’: money market fund sector perks up on rising rates“, 19. Juli 2022.

[6] Zum Beispiel: Boston Global Consulting: „GCC’s financial wealth to grow by 5.2% annually, reaching $3.5 trillion by 2026“, 27. Juli 2022.

[7] Zum Beispiel: McKinsey & Co: The Net-zero Transition: What It Would Cost, What It Could Bring,

*Geofencing wird das automatisierte Auslösen einer Aktion durch das Überschreiten einer geolokalisierten Begrenzung auf der Oberfläche der Erde oder in der Luft bezeichnet. 2022.

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