Kolumne

Und täglich grüßt das Murmeltier…

Viele Menschen fühlen sich derzeit manchmal wie Bill Murray im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier…“, da sich jeder Tag so wie der andere anfühlt. Murray musste im Film immer und immer wieder das Wetter anhand der Reaktion des Murmeltiers Phil vorhersagen und konnte erst aus der Endlosschleife entkommen, als er den perfekten Tag hinlegte. Ob wir so lange im Lockdown verharren müssen, bis die Politik die perfekte Pandemie-Strategie gefunden hat und alle geimpft sind, bleibt allerdings unsicher.

Unzweifelhaft ist jedoch, dass in einigen Teilen der Welt der Kampf gegen die Pandemie erfolgreicher verläuft als in Europa. Hierzulande hat die Bürokratie nicht nur bei der Impfstoffbeschaffung kein glückliches Händchen bewiesen. In anderen Teilen der Welt ist man da schon weiter. Joe Biden konnte vor kurzem – auch dank der Bestellungen seines Vorgängers – sein Ziel, 100 Millionen Menschen in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit zu impfen, verdoppeln. Ab dem 19. April gibt es zudem keine Priorisierung mehr, sondern jeder in den USA kann sich nach Wunsch impfen lassen. Da überrascht es wenig, dass die Volkswirte des Federal Reserve System ihre Wachstumsprognosen auf 6,5 % nach oben korrigierten. Die Steigerung wäre damit höher als beim großen Wettbewerber China, der sein Wachstumsziel aktuell auf 6 % veranschlagt. Sollten beide Schätzungen eintreffen, würden die USA das Reich der Mitte zum ersten Mal seit den 1970er Jahren in Sachen Wachstum überflügeln.

Selbstverständlich hat dies zu einem guten Teil mit Basiseffekten zu tun. In den USA wird hier die Schrumpfung des Vorjahres ausgeglichen, während es sich bei den chinesischen Zahlen um eine Rückkehr auf den alten Wachstumspfad handelt. In den USA kommt hinzu, dass der Schub im Wesentlichen auf das billionenschwere Programm des neuen Präsidenten zurückzuführen ist. Derartige Zahlen sind in Europa, angesichts geringer Öffnungsperspektiven, noch in weiter Ferne. Mit einem geschätzten BIP-Wachstum von 3,7 % hat der alte Kontinent deutlich das Nachsehen, was umso mehr zu Buche schlägt, als der Einbruch 2020 mit 7 % über dem von China und den USA lag. Schätzungen zufolge hinkt Europa beim ökonomischen Neustart schon jetzt 1-2 Quartale hinter den USA hinterher und liegt 5-6 Quartale gegenüber China zurück – Tendenz „dank“ des langsamen Impftempos weiter steigend.

Zusammen mit der erhöhten Wachstumsprognose durch die Wiedereröffnung der Volkswirtschaften außerhalb Europas stieg auch das lange vermisste Inflationsgespenst wieder aus seiner Kiste. Die daraufhin anziehenden Zinsen am langen Ende der Kurve wurden jedoch durch jüngste Aussagen der US-Notenbank gedämpft, die deutlich machte, dass sie bezüglich steigender Inflation eindeutig ‚behind the curve‘ bleibt. Auch die sogenannten „Dot Plots“ der FOMC-Mitglieder signalisieren weiterhin die ersten Zinserhöhungen erst nach 2023 und auch die EZB betonte zuletzt ihre Entschlossenheit, die

Finanzierungsbedingungen sehr expansiv zu belassen. Dies ist sicherlich eine gute Nachricht für die Märkte.

Eine weitere ist, dass der ökonomische Gesamtschaden der Pandemie geringer bleiben könnte als die kumulierten Output- und Einkommensverluste im Nachgang der großen Finanzkrise 2008/09. Dies schätzt zumindest BlackRock in einer Veröffentlichung seines Research Institute. Prominente Zustimmung erhielt diese Analyse jüngst von der Chefvolkswirtin des Internationalen Währungsfonds, Gita Gopinath. Für alle Menschen im Murmeltiermodus mag dies verblüffend sein und sicherlich ist die individuelle Belastung wesentlich unmittelbarer als vor 12 Jahren. Der große Unterschied liegt jedoch darin, dass diesmal die Rezession nicht durch einen langwierigen ökonomischen Anpassungsprozess (Schuldenabbau), sondern durch synchrone, behördlich angeordnete Angebots- und Nachfrageschocks ausgelöst wurde. Mit anderen Worten: Es sind die Pandemie und die Qualität der politischen Reaktion auf diese, die den Zeitpunkt bestimmen, an dem die Wirtschaftstätigkeit wieder Fahrt aufnehmen kann.

Hier bleibt zu hoffen, dass die Stimmen Recht behalten, die von einem „schwallartigen Neustart“ sprechen, also einer explosionsartigen Entladung der angestauten Nachfrage, die sich bei den Haushalten aufgrund des erzwungenen Konsumverzichts ergeben hat. Schätzungen zufolge liegt diese Überersparnis aktuell in den USA bei rund 12 % des durchschnittlichen Jahreskonsums und in Europa immerhin auch bei 8 %. Hier schlummert das große Potenzial für die zweite Jahreshälfte, was die Märkte bereits auf neue Höchststände getrieben hat. Einige Marktteilnehmer fühlen sich an 2017 erinnert, als das gleichzeitige Wachstum in allen großen Wirtschaftsregionen zu einem ‚Goldilocks‘-Szenario geführt hatte. Ganz so rund läuft es aktuell jedoch nicht und Rückschläge bei der Impfkampagne, gegen den Impfstoff gefeite Mutationen oder verstärkt auftretende Impfschäden, die die Impfbereitschaft dämpfen, können das goldene Bild schnell wieder eintrüben und uns zurück in den Murmeltiermodus schicken.


Dies ist eine Kolumne von Felix Herrmann, Chefvolkswirt, ARAMEA Asset Management im aktuellen FINANCIAL PLANNING Magazin.