Einführung elektronischer Wertpapiere: geplante Neuerungen und Auswirkungen auf die Praxis
nfep-Experteninterview mit Dr. Markus Kaulartz und Jörg Baumgartner, CMS Deutschland
Die Bundesregierung hat kürzlich einen Entwurf zur Einführung elektronischer Wertpapiere (eWpG-E) vorgelegt. Welche Neuerungen sind darin geplant?
Baumgartner: Das geplante eWpG ist ein echter Umbruch im bislang sehr traditionellen deutschen Wertpapierrecht, das es in nahezu unveränderter Form schon seit mehr als 100 Jahren gibt. Durch das geplante neue Gesetz sollen elektronische Wertpapiere eingeführt werden, die sogar auf Blockchains verwendet werden können. Die Blockchain-Technologie wird landläufig als Grundlage für ein neues Internetzeitalter verstanden, das sogenannte Web 3.0. Anders als beim auf Informationsfluss ausgelegten Web 1.0 und beim durch soziale Interaktion geprägten Web 2.0 wird durch die Blockchain-Technologie die Möglichkeit geschaffen, Werte zwischen Nutzern zu übertragen. Dies war bisher technisch nicht möglich, denn zur Übertragung von etwa Geld oder Aktien waren immer Intermediäre notwendig, etwa Banken, und der Datenfluss von und zu diesen war lediglich ein Informationsdatenfluss. Die Blockchain-Technologie baut hierauf auf und führt den sogenannten Token ein, eine Werteinheit, die zwischen Nutzern sicher hin- und hertransferiert werden kann. Token können beliebig erschaffen, modifiziert und zerstört werden, sodass den Teilnehmern höchste Flexibilität ermöglicht wird.
In Zukunft müssen Wertpapiere nach dem Gesetzentwurf nicht mehr zwingend in einer physischen Urkunde verkörpert werden, sondern Inhaberschuldverschreibungen, für die der Gesetzentwurf zunächst nur gilt, werden in ein sogenanntes zentrales elektronisches Wertpapierregister eingetragen und entstehen dadurch. Zusätzlich werden sogenannte Kryptowertpapiere neu eingeführt. Diese basieren auf der Blockchain-Technologie und werden häufig auch als Security Token bezeichnet. Entstehen werden die Kryptowertpapiere durch die Eintragung in ein Kryptowertpapierregister.
Papierurkunden wird es auch weiterhin geben. Der Gesetzentwurf schafft diese nicht ab, sondern eröffnet mit den elektronischen Wertpapieren eine zusätzliche Möglichkeit der Begebung von Wertpapieren. Bereits ausgegebene Wertpapiere können sehr einfach, aber müssen nicht in die elektronische Form umgewandelt werden. Sollen nach Einführung des Gesetzes neue Wertpapiere begeben werden, kann dies entweder in der klassischen Form der Papierurkunde geschehen oder aber in Form elektronischer Wertpapiere.
Welche Änderungen gibt es im Vergleich zum Referentenentwurf vom Sommer?
Baumgartner: Laut dem im Spätsommer 2020 veröffentlichten Referentenentwurf war zunächst nur geplant, dass elektronische Wertpapiere in Form von Inhaberschuldverschreibungen, also Anleihen, geschaffen werden sollten. Der Regierungsentwurf erweitert dies nun mit gewissen Einschränkungen auch auf Fondsanteile. Dies war im Referentenentwurf erst in einem zweiten Schritt vorgesehen. Damit werden auch im Investmentrecht entmaterialisierte Anteilsscheine eingeführt. Neben dieser wichtigen inhaltlichen Änderung gab es auch einige redaktionelle Anpassungen und Änderungen, die auf die Beteiligung von Verbänden, Wissenschaft und Interessengruppen zurückgehen. Eine der wichtigsten Änderungen dürfte in diesem Zusammenhang sein, dass die Wertpapierregister nun auch von allen Depotbanken geführt werden dürfen und nicht nur von einem Zentralverwahrer, wie es noch im Referentenentwurf vorgesehen war. Außerdem wurde das Anfangskapital, das für Kryptowertpapierregisterführer notwendig ist, von 730.000 EUR auf 125.000 EUR reduziert. Damit wird kleineren Unternehmen die Teilnahme deutlich erleichtert.
Warum bleiben Aktien bei der Digitalisierung außen vor?
Kaulartz: Die Möglichkeit, dass auch Aktien elektronisch begeben werden können sollen, ist vom Gesetzgeber zwar gewünscht, aber im aktuellen Regierungsentwurf noch nicht vorgesehen. Dies liegt vor allem daran, dass es bei der Digitalisierung von Aktien zahlreiche Dinge zu beachten gilt, was auch inhaltlich sehr komplex ist. Natürlich könnte man den Anwendungsbereich des eWpG-E einfach auf Aktien ausdehnen, allerdings blieben dann zahlreiche aktienrechtliche Folgefragen wie zum Beispiel im Zusammenhang mit der Ausgabe und Übertragung von Aktien an den nationalen Kapitalmärkten, der Gründung der Aktiengesellschaft und der Einberufung der Hauptversammlung ungeregelt. Daher ist es erforderlich, nicht nur die wertpapierrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, sondern auch umfangreiche Änderungen im Aktiengesetz und in weiteren Gesetzen vorzunehmen. Dies wird sicherlich noch etwas dauern. Trotzdem ist es jetzt richtig und sinnvoll, das elektronische Wertpapier bereits für Anleihen und Fondsanteile einzuführen und Erfahrungen zu sammeln, bevor die neue Rechtslage dann auch auf Aktien angewendet wird.
Trägt das Gesetz zum Bürokratieabbau bei?
Baumgartner: Meiner Meinung nach führen elektronische Wertpapiere auf jeden Fall zu einem Weniger an Bürokratie. Zum Beispiel müssen dann in Zukunft keine Papierurkunden mehr ausgestellt und als Globalurkunde physisch beim Zentralverwahrer – in Deutschland ist dies die Clearstream Banking AG – hinterlegt werden. Die zentralen elektronischen Wertpapierregister können nach dem eWpG-E bei allen Depotbanken als Verwahrer geführt werden. Bei Kryptowertpapieren können neben Dienstleistern sogar die Emittenten selbst als registerführende Stelle agieren. Dadurch wird sich der administrative Aufwand voraussichtlich deutlich verringern.
Macht das Gesetz den Finanzstandort Deutschland attraktiver?
Kaulartz: Absolut. Die Digitalisierung von Wertpapieren hat in anderen Ländern, auch innerhalb der EU beziehungsweise Europas, schon länger Fahrt aufgenommen. Beispielsweise wurden in Liechtenstein, Malta und der Schweiz bereits Gesetze verabschiedet, die eine digitale Ausgabe von Wertpapieren ermöglichen. Deutschland drohte hier mit der nach wie vor bestehenden Pflicht, Wertpapiere im Grundsatz in Papierform begeben zu müssen, den Anschluss zu verlieren. Der Wettbewerb zwischen den einzelnen Ländern ist in diesem Bereich sehr stark. Daneben ist die Einführung der Kryptowertpapiere ein starkes Signal des Gesetzgebers, den Blockchain-Standort Deutschland weiterhin attraktiv zu halten. Gerade für die Blockchain-Community ist der Entwurf daher ein echter Fortschritt: Sie profitiert mit der Gleichstellung von Kryptowertpapieren und den übrigen elektronischen Wertpapieren von der geplanten Rechtsänderung besonders.
Wo gibt es Nachbesserungsbedarf?
Kaulartz: Es werden im Moment noch einige eher technische Fragen diskutiert, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem gutgläubigen Erwerb von elektronischen Wertpapieren. Daneben ist es wie angesprochen sehr wichtig, dass auch für Aktien schnell die Möglichkeit geschaffen wird, diese elektronisch auszugeben. Der Gesetzentwurf enthält viele sogenannte Verordnungsermächtigungen, die es dem Gesetzgeber ermöglichen, Ausführungsbestimmungen zu erlassen. Von diesen sollte nach Inkrafttreten des Gesetzes sehr schnell Gebrauch gemacht werden, sodass sich die Marktteilnehmer auch technisch auf die neuen Gegebenheiten vorbereiten können. Darüber hinaus ist eine gesetzliche Regelung bezüglich dessen wünschenswert, wie Security Token generell rechtlich einzuordnen sind. Darunter fallen nämlich viele verschiedene Arten von Wertpapieren und es wird wichtig sein, hier klar zu differenzieren.
Welche Auswirkungen haben die digitale Anleihe und der digitale Fondsanteil für die Praxis?
Baumgartner: Sicherlich werden sich konkrete weitere Anwendungsmöglichkeiten digitalisierter Wertpapiere in Zukunft durch den Input der Marktteilnehmer ergeben. Was sich aber jetzt schon sagen lässt, ist, dass es bei der Wertpapieremission Effizienzgewinne geben wird, zum Beispiel was die Geschwindigkeit der Begebung und der Abwicklung angeht. Natürlich werden voraussichtlich auch geringere Kosten für die Transaktionen anfallen, da die Prozesse schlanker werden. Außerdem sind durch die gesteigerte Geschwindigkeit der Ausgabe auch neue Produkte denkbar, die beispielsweise innerhalb eines Tages begeben und auch wieder zurückgeführt werden.
Auch in Bezug auf den Vertrieb und die Zeichnung der Wertpapiere wird es möglich werden, die Anleihen oder Fondsanteile auch elektronisch und damit schneller zu zeichnen. Für die Depotbanken schließlich wird die Abwicklung der Wertpapiergeschäfte insgesamt einfacher und schneller werden.
Worin liegt der Unterschied zu Bitcoins?
Kaulartz: Bitcoins und die neuen Kryptowertpapiere haben technisch eine gewisse Vergleichbarkeit, beispielsweise basieren sie beide auf der Blockchain-Technologie und können mithilfe von privaten kryptographischen Schlüsseln sicher verwahrt und übertragen werden. Im Detail sind die technischen Unterschiede allerdings sehr groß. In der Anwendung unterscheiden sich beide hauptsächlich dadurch, dass Bitcoins keine Rechte an etwas Drittem verkörpern. Kryptowertpapiere verkörpern Rechte gegen einen Emittenten, etwa aus einem Darlehensvertrag. Bitcoins hingegen sind Gegenstände, die ihren Wert ausschließlich aus Angebot und Nachfrage ableiten.
Das Interview führte Maximilian Kleyboldt vom Netzwerk der Finanz- und Erbschaftsplaner e. V.
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