ESG

ESG = Greenwashing

Nachhaltige Anlagen haben ein rasantes Wachstum verzeichnet. Haben wir damit nur unser Gewissen erleichtert oder auch die Umwelt nachhaltig verbessert? Eine kritische Bestandsaufnahme kommt zum Fazit: Gut gemeint ist nicht gut gemacht.

Große Kontroversen: Die kürzlich pleitegegangene Kryptobörse FTX hat über USD 10 Milliarden veruntreut. Zuvor genoss FTX eine Vorbildfunktion in „Unternehmensführung“ und hatte damit ein besseres ESG-Rating als zum Beispiel der US-amerikanische Mineralölkonzern ExxonMobil. Wer 2022 den Energiesektor per se ausschloss, hat massive Opportunitätskosten erlitten, da dieser Sektor im vergangenen Jahr mit Abstand die beste Anlagerendite erzielte. Der Ausschluss senkte die Diversifikation und bewirkte einen Verlust. Und Desiree Fixler, die den Greenwashingskandal bei der DWS ins Rollen brachte, berät nun die für Verbraucherschutz zuständige Finanzaufsicht FCA zu Nachhaltigkeitsthemen.

Cui bono?

ESG steht für Environment, Social, Governance. Solche Anlagen locken Kunden mit der Aussicht auf höhere Renditen sowie geringere Risiken und versprechen ökologische und soziale Effekte. Das Marketing der Finanzindustrie zeigt Wirkung: etwas Gutes tun fürs Klima und fürs Allgemeinwohl und gleichzeitig Rendite machen. „Mehr als Geld bewegen. Wir investieren Ihr Vermögen in zukunftsweisende Anlagen mit einem positiven Footprint. Für unseren Planeten, für unsere Kinder, für unsere Zukunft“, wirbt zum Beispiel eine auf Nachhaltigkeit spezialisierte Schweizer Bank. Man gewinnt unvermittelt den Eindruck, höchstpersönlich im Kampf gegen den Klimawandel und für einen grünen Planeten aktiv zu werden, zu sozialer Gerechtigkeit und Diversität beizutragen und obendrein mit einer fetten Rendite belohnt zu werden. Die Realität ist allerdings eine andere: Der weltweite CO2-Ausstoß nimmt bedauerlicherweise nach wie vor zu.

Weshalb gibt es eine eklatante Diskrepanz zwischen der Wachstumsstory mit Blick auf ESG-Investments und der realen Klimapolitik? Die Sache scheint um einiges komplexer zu sein, als es in den Hochglanzbroschüren dargestellt wird. Wissenschaftler bezweifeln, dass ESG-Anlagen Klimaprobleme und soziale Missstände lösen können. Vielleicht sind nur unsere Erwartungshaltung und Ungeduld problematisch? Zeit, den Dingen kritisch auf den Grund zu gehen.

Placeboprodukte

Beginnen wir damit, ein paar Missverständnisse auszuräumen. Es wird vielfach behauptet, dass viel Neugeld in ESG-Anlagen fließt. Faktisch haben Investoren nur ihre Titel umgeschichtet – das hat erst einmal gar keinen Einfluss aufs Klima. Zweifelsohne können ESG-Kriterien Aktienkurse beeinflussen. So kann ein Unternehmen höher bewertet werden, wenn sich Anleger einen wichtigen Beitrag zur Energiewende versprechen. Und falls sich umgekehrt herausstellt, dass ein Unternehmen gegen ESG-Kriterien verstoßen hat, droht eine Abstrafung: So musste der größte kalifornische Energieversorger, PG&E, Konkurs anmelden, nachdem defekte technische Anlagen verheerende Waldbrände verursacht und Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe nach sich gezogen hatten. Dass darüber hinaus eine Mehrrendite von ESG-Anlagen gegenüber dem Gesamtmarkt erzielt werden kann, darf bezweifelt werden

Reto Spring, CFP® und Präsident vom FinanzPlaner Verband Schweiz, unabhängiger Experte und Dozent für Finanzplanung

Eine Studie im Auftrag von Greenpeace Schweiz und Greenpeace Luxemburg schlägt Alarm: „Die Resultate sind besorgniserregend. Kunden werden Anlageprodukte angeboten, die aufgrund ihrer Bezeichnung einen positiven Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft implizieren, die aber diese Wirkung in den allerwenigsten Fällen erzielen. Banken und Vermögensverwalter betreiben aus unserer Sicht Greenwashing.“ Und Professor Falko Paetzold von der Universität Zürich hat in mehreren Studien untersucht, ob nachhaltige Anlagen einen positiven Einfluss auf die Welt haben. Sein niederschmetterndes Fazit: „Die Produkte geben den Käufern ein gutes Gefühl und beruhigen ihr Gewissen. Doch ein grosser Teil schafft es nicht, eine messbare Veränderung herbeizuführen.“ Das riecht schwer nach Etikettenschwindel …

Wirkung erzielen – aber wie?

Anleger, die ESG-Produkte nachfragen, möchten in der Regel einen positiven Einfluss auf die Welt ausüben. Die Frage ist, wie diese Wirkung erzielt und wie sie gemessen wird. Die Wissenschaft unterscheidet zwischen wirkungskompatiblen („impact-aligned“) und wirkungseffektiven („impact-generating“) Strategien. Die wirkungskompatiblen konzentrieren sich lediglich auf eine Auswahl von Unternehmen, die am Prozess beteiligt sind, also Wirkung positiv begleiten. Die wirkungseffektiven sind komplexer, denn hier sollen durch die Investition in einer Firma tatsächliche Veränderungen bewirkt werden. Die Unsicherheit, welcher der beiden Ansätze korrekt ist, führt dazu, dass die verschiedenen ESG-Ratings nicht stark korrelieren. So strich beispielsweise der MSCI laut einer vielbeachteten Recherche des Nachrichtendienstes Bloomberg Treibhausgasemissionen als Bewertungskriterium ganz aus der ESG-Benotung von McDonald’s, und zwar mit der Begründung, dass diese weder ein finanzielles Risiko noch eine Chance für das Unternehmen darstellten.

Bei solch schwer vermittelbaren Entscheidungen stellt sich die Frage, ob es den Ratingagenturen generell nur um die Rendite und gar nicht um den Klimaschutz und das Allgemeinwohl geht, was die Werbung allerdings vollmundig verspricht. Das führt uns zur nächsten Frage:

Wie entstehen überhaupt ESG-Anlagen?

Möchten Finanzdienstleister neue ESG-Produkte lancieren, benötigen sie zur Konstruktion Daten von Anbietern wie MSCI oder Morningstar (beziehungsweise Sustainalytics). Diese Datenbanken screenen alle börsenkotierten Unternehmen nach verschiedensten Kriterien, zum Beispiel Energieverbrauch, Treibhausgasemissionen oder Unabhängigkeit des Verwaltungsrats. Fondsmanager wiederum stützen sich auf solche ESG-Ratings. Der Fokus solcher Bewertungen liegt auf den finanziellen Risiken bestimmter ESG-Faktoren für ein Unternehmen. Viele Entscheidungen sind auf subjektive Einschätzungen zurückzuführen, die Datenbasis ist oft willkürlich und unvollständig und somit wenig belastbar. Daher kommen die Ratingagenturen zum Teil auch zu gegensätzlichen Einschätzungen. Wie soll man da noch über ethisches Verhalten oder den Impact urteilen und eine Anlageentscheidung treffen können? Die Ratinggesellschaft MSCI betont ihre transparente Methode, wonach ihr ESG-Rating nur die finanziellen Folgen des Verhaltens von Unternehmen abzuschätzen habe. Für Impact Investing liegt man bei MSCI also falsch. Positive Nebeneffekte für Umwelt und Gesellschaft sind daher eher zufällig. Problematisch wird das vor allem, wenn die ESG-Labels zu einem übertriebenen Nachhaltigkeitsversprechen und einem entsprechend lukrativen Aufpreis bei den Produkten führen.

Regulierung und Standardisierung als Ausweg?

Sollte der grüne Bluff ein Ende finden, müssen einfache und global gültige Regeln her, fordern Experten. Allerdings können auch gut gemeinte Regulierungsvorhaben schnell ausufern und zu noch mehr Bürokratie und Kosten führen. Damit wäre weder der Finanzbranche noch den Anlegern und auch nicht der Umwelt gedient. Der aktuelle ISS-ESG-Report zeigt, dass 2022 Umfang und Geschwindigkeit von Regulierungen im Bereich nachhaltiger Anlagen weltweit zugenommen haben und die EU weiterhin führend ist. Ob eine einfache EU-Klassifizierung von Wirtschaftsaktivitäten anhand der Begriffe „umweltfreundlich“ und „nicht umweltfreundlich“ zielführend ist, bleibt eine offene Frage. Ohne den „Dreiklang“ von Nachhaltigkeit genauer zu definieren – also ohne Konkretes zu der Frage, wie die Komponenten Umweltfreundlichkeit, positive Sozialwirkung und gute Unternehmensführung im Verhältnis zueinander gewichtet werden –, kommt man wohl nicht weiter. Finanzplanungsexperten sind der Auffassung, dass Nachhaltigkeit als gesamtheitliches Konzept in der Finanzplanung sehr vielversprechend ist, die Reduktion allein auf nachhaltige Anlagen nach ESG-Kriterien jedoch zu kurz gegriffen ist. „Die Frage, was nachhaltige Anlagen sind, ist seriös und vor allem objektiv nicht zu beantworten. Wird der Fokus auf ‚Environmental‘ ausgerichtet, können Coca-Cola, Lindt & Sprüngli oder McDonald’s als nachhaltig qualifiziert werden. Wird der Akzent hingegen auf das ‚Social‘ gelegt, lassen sich die drei Unternehmen ebenso gut als potenzielle ‚Fettmacher‘ disqualifizieren“, meint Dr. Pirmin Hotz vom gleichnamigen Vermögensverwalter. Mit diesen kritischen Gedanken wollen wir aber nicht den Appetit verderben, sondern den Fokus auf die wichtigen Fragen lenken und zur Reflexion anregen.


Reto Spring, CFP® und Präsident vom FinanzPlaner Verband Schweiz, unabhängiger Experte und Dozent für Finanzplanung