Finanzstimmen

Phasen einer Krise

Die Coronakrise ist anders als andere Börsencrashs und Finanzkrisen der jüngeren Geschichte. Anders als die Asienkrise der späten 90er, die geplatzte Dotcomblase der frühen 2000er oder die Finanzkrise 2008/2009 ist sie nicht auf gescheiterte Geschäftsmodelle einzelner Branchen oder Länder zurückzuführen, sondern auf eine ganz bewusst getroffene Entscheidung unserer Regierungen. Die Entscheidung nämlich, unsere Wirtschaft angesichts der Covid-19-Pandemie de facto zum Stillstand zu bringen.

Der Weg aus der Krise wäre denkbar einfach

Damit wird deutlich, dass der Weg aus der Krise ein denkbar einfacher wäre. Wir müssten nur die Wirtschaft von den beschlossenen Beschränkungen befreien, dann würde sich die ökonomische Aktivität in den meisten Bereichen relativ schnell alten Niveaus annähern und der Schaden bliebe auf den bisher verzeichneten Ausfall an Output und Nachfrage beschränkt.

Bezahlen würden wir diese Begrenzung des ökonomischen Schadens allerdings mit einer Rückkehr der Infektionszahlen im exponentiellen Bereich, einer bald darauf folgenden Überlastung unseres Gesundheitssystems und Bildern, wie wir sie aus Bergamo oder New York kennen.

Es ist also die Ausbreitung des Virus, der Verlauf der Pandemie, was uns von dieser radikalen Entscheidung abhält. Damit ist es auch die Pandemie, die den weiteren Verlauf für Volkswirtschaft und Märkte bestimmt, nicht Regierungen und Zentralbanken, die alles in ihrer Macht Stehende tun, am Ende die Folgen des wirtschaftlichen Stillstands aber nur abmildern können.

Die wirklich bestimmende Frage ist, inwieweit es gelingt, Sars-CoV-2 und die globale Wirtschaft koexistieren zu lassen

Angesichts der unerfreulichen Erkenntnis, dass es sich um ein Phänomen weit außerhalb der Komfortzone von Volkswirten und Investmentstrategen handelt, herrscht an den Finanzmärkten nach wie vor Verwirrung darüber, wann es für Aktien endlich wieder aufwärts geht, ob wir uns an die Niedrigzinsen für alle Zeit gewöhnen müssen und ob Cash vielleicht doch eine ganz gute Anlageklasse ist.

Da aber nichts, was Finanzanlagen betrifft, in Stein gemeißelt ist, sondern sich im Verlauf der Zeit vieles verändert – gelegentlich sogar unangenehm schnell –, erscheint es sinnvoll, den bisherigen Verlauf der Coronakrise, soweit sie die Märkte betrifft, anhand ihrer Phasen zu analysieren.

Die „Schock-und-Erleichterungs-Phase“

In einer ersten Phase, ich nenne sie die „Schock-und-Erleichterungs-Phase“, gaben die Aktienmärkte in beispielloser Geschwindigkeit nicht nur die bisherigen Jahresgewinne her, sondern stürzten sogar tief in den negativen Bereich. Die meisten der besonders beachteten Indizes verloren 35 bis 50 Prozent, gemessen an ihren Höchstständen.

Teilweise führte Liquiditätsknappheit dazu, dass auch andere Anlageklassen wie Anleihen oder Gold, die normalerweise sichere Häfen bilden, verkauft wurden und fallende Kurse verzeichneten. Erst gegen Ende der dritten Märzwoche kam diese erste Schockphase zu einem Ende, und zwar vor allem durch die nie da gewesenen Stimulusprogramme der Regierungen, allen voran das 2,2-Billionen-Dollar-Paket in den USA.

Konsequenterweise drehte der Markt in eine steile Erleichterungsrally. Schnell waren bei großen Indizes 25 Prozent gegenüber dem Tiefpunkt wieder aufgeholt. Schon kurz später, Ende März, kam diese Phase damit an ihr Ende.

Die Phase des volatilen Seitwärtsmarkts

Das läutete die Phase des volatilen Seitwärtsmarkts ein. Diese Phase, in der wir uns auch heute noch befinden, ist dadurch gekennzeichnet, dass Marktteilnehmer rationaler agieren als in der wilden Phase davor. Dennoch stehen vielversprechenden Erholungen, die über wenige Tage sehr markante Kurszuwächse bringen können, oft ebenso schnelle Abverkäufe gegenüber.

Genau das sehen wir seit etwa Anfang April. Wuchs etwa die Hoffnung auf ein Medikament oder gar einen Impfstoff gegen Covid-19 beziehungsweise legten Regierungen und Zentralbanken noch großzügigere Rettungsmaßnahmen nach, waren die Kurstafeln kräftig grün eingefärbt.

Brach dagegen wegen der weltweit kollabierenden Nachfrage der Ölpreis ein oder ließen Infektionsstatistiken vermuten, dass die Bekämpfung der Pandemie viel länger dauern würde als erhofft, gaben die Indizes die Gewinne auch sehr schnell wieder ab.

Bisher ist Phase zwei von weiter steigenden Aktienkursen, aber auch höheren Risikoaufschlägen im Anleihebereich gekennzeichnet. Mit Blick nach vorn ist entscheidend, dass diese Phase vermutlich noch lange anhalten wird. Erst wenn absehbar ist, wann das gesellschaftliche und damit auch das wirtschaftliche Leben zu so etwas wie Normalität zurückkehrt, wird der volatile Seitwärtsmarkt enden.

Die „Welt-danach-Phase“

Dann beginnt Phase drei. Sobald sich der Ausblick auf die Welt nach überstandener Coronapandemie abzuzeichnen beginnt, dürfte der Markt in die Phase eintreten, in der dieser Ausblick eingepreist wird. Ich nenne sie entsprechend die „Welt-danach-Phase“. In ihr werden Fragen zu beantworten sein wie jene nach der Zukunft der Globalisierung, dazu, welche Sektoren zu den Gewinnern gehören (und welche weniger), und auch dazu, ob die quasi unbegrenzte Zentralbankgeldschöpfung zu Inflation führt oder eher nicht.

Natürlich stellen wir uns alle diese Fragen auch heute schon, nur beeinflussen sie bisher kaum die Preisbildung an den Märkten. Insofern bleibt festzuhalten, dass wir uns bis auf Weiteres mit den Unsicherheiten der Phase zwei herumzuschlagen haben. Über den Zustand der Welt von morgen zu spekulieren und darüber, wie er unsere Portfolios beeinflusst, können wir getrost auf eine spätere Kolumne verschieben.


Dies ist eine Finanzstimme von Dr. Martin Lück, Managing Director, Chief Investment Strategist für Deutschland, Österreich, Schweiz und Osteuropa, BlackRock