Vermögende Privatpersonen in der Krise
Interview mit Rechtsanwältin/Steuerberaterin Dr. Maren Gräfe und
Rechtsanwalt/Steuerberater Pawel Blusz
Frau Dr. Gräfe, Herr Blusz, bevor wir uns den heutigen Themen widmen, erlauben Sie zunächst eine Frage zu Ihrem neuen, spannenden Set-up. Zum 1. Mai 2023 sind Sie, Herr Blusz, mit Ihrem Team zu gkn gewechselt. Wie kam es dazu?
Pawel Blusz: Tatsächlich war das ein spannender Schritt. Nach Jahren in anderen Einheiten war es an der Zeit, mich stärker auf vermögende Privatpersonen zu fokussieren. Mit gkn haben wir eine Plattform gefunden, die sich als Boutique der Beratung von vermögenden Privatpersonen verschrieben hat und alles auf deren Bedürfnisse zugeschnitten hat. Das hilft bei der Beratung.
Dr. Maren Gräfe: Auch wir freuen uns über den Zuwachs sehr. Mit Pawel Blusz, Christoph Hübner, Sebastian Koch und Dr. Verena Hang-Kramar haben wir ein tolles, neues Team dazu gewonnen. Dadurch haben wir noch mehr Men- bzw. Womenpower als bisher und können Erfahrungen aus vielen Jahren zusammenbringen. Aktuell haben wir 21 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die ausschließlich Private Clients, Unternehmerfamilien und Single Family Offices betreuen und dabei in Teams sowohl die Strukturierungsseite als auch die laufende Steuerberatung umsetzen. Diese Teamstärke haben nicht viele Kanzleien in diesem Bereich. Gerade in der aktuellen Situation müssen wir umfangreicher und vernetzter denken.
Das ist ein gutes Stichwort: Was beobachten Sie aktuell bei vermögenden Personen und Unternehmerfamilien? Wenn man sich die letzten Jahre anschaut, schlittern wir von einer Krise in die nächste. Sicherlich geht das auch an vermögenden Personen und Familienunternehmern nicht spurlos vorbei.
Dr. Maren Gräfe: Das ist richtig. Viele Mittelständler ‒ als Rückgrat der deutschen Wirtschaft ‒ sind in ihren Geschäftsmodellen disruptiv betroffen. Energiepreise, Lieferketten, Finanzierungskosten und eine sich polarisierende Welt sind nur einige Faktoren. Um gegenzusteuern, sind vielerorts erhebliche neue Finanzmittel erforderlich. Zudem fehlt es an der Sicherheit, dass der Gesetzgeber verlässlich an der Seite des Mittelstandes agiert. Das führt erstmals zu Diskussionen im Gesellschafterkreis ‒ insbesondere generationsübergreifend ‒, ob man überhaupt als Unternehmer(-familie) weitermacht. Wir sehen das an prominenten Beispielen wie Viessmann. Zudem ist auch die private Investmentsäule der Familie und unserer Klientel krisenbedingt herausgefordert. Und dann kommen noch Steuern hinzu, richtig Pawel?
Pawel Blusz: Genau. Will man Steuern sparen, sollte frühzeitig übertragen werden. Aber die beschriebenen Unsicherheiten schlagen auch auf die Nachfolgeplanung durch. Viele Unternehmer befinden sich in einem Dilemma: Die Kinder sind einerseits noch nicht so weit, aber auch der Senior ist häufig noch nicht bereit, die Führung zu übergeben. In vielen Fällen ist es nicht klar, ob die Kinder die Nachfolge überhaupt antreten möchten oder können. Die Schenkung ist nach der Vorstellung des Gesetzgebers insbesondere nur dann von der Schenkungsteuer befreit, wenn man in den nächsten fünf oder sieben Jahren die Arbeitsplätze aufrechterhält. Aber kann man das trotz der Krisen, Kriege und KI-Themen als Unternehmer garantieren? Für den Verkauf ist aktuell auch der Zeitpunkt nicht richtig, da sich viele Investoren wegen der gestiegenen Finanzierungszinsen zurückgezogen haben.
Das ist in der Tat eine große Herausforderung und auch eine Verantwortung für Mitarbeiter und die eigene Familie. Was empfehlen Sie aktuell den Unternehmern?
Dr. Maren Gräfe: Trotz dieser Unsicherheiten ist noch wichtiger als bisher, dass man sich mit den bestehenden rechtlichen, steuerlichen und inhaberstrategischen Optionen auseinandersetzt und nicht einfach abwartet. Wartet der Unternehmer ab, kann es sein, dass sich die rechtlichen, steuerlichen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nochmals verschlechtern. Beim Bundesverfassungsgericht haben wir aktuell z. B. zwei Verfahren zur möglichen Verfassungswidrigkeit des Erbschaftsteuergesetzes. Immer mehr häufen sich zudem die Stimmen, die für eine Reform der Erbschaftsteuer plädieren und gerade die Voraussetzungen für Unternehmensschenkungen verschärfen möchten. Als Erstes ist es deswegen essentiell, die steuerliche Belastung im Status quo genau beziffern zu können. Wir machen hierzu auf Knopfdruck Szenarienberechnungen (sog. Probesterben).
Pawel Blusz: Vollkommen richtig. Danach kann man dann über Lösungen sprechen, die einerseits steuerlich optimal sind und andererseits auch bei jungen Kindern funktionieren. Hier kann sich z. B. eine Familienstiftung als gute Lösung erweisen: Die Senioren behalten die Kontrolle über das Familienunternehmen, so dass der bisherige Unternehmer weiterhin am Ruder bleibt. Gleichzeitig wird die aktuelle erbschaftsteuerliche Begünstigung genutzt, unabhängig davon, ob die Kinder irgendwann die Verantwortung für die Firma übernehmen möchten oder die Stiftung das Unternehmen doch an einen Dritten verkauft.
Aber ist das Vermögen in der Stiftung nicht für immer eingeschlossen?
Dr. Maren Gräfe: Vorschnellen Bedenken begegnet man tatsächlich häufig. Sie kommen nach unserer Beobachtung von einer Gleichsetzung mit den gemeinnützigen Stiftungen, bei denen allein die Erträge für bestimmte Zwecke verwendet werden dürfen. Familienstiftungen errichten wir aber als sog. Hybridstiftungen. Sie werden mit einem minimalen Grundstockvermögen errichtet und das darüber hinaus gehende Vermögen (wenn gewollt einschließlich der Anteile am Familienunternehmen) steht komplett zur freien Verfügung. Die Substanz kann deshalb sofort oder später an eines oder mehrere Familienmitglieder ausgekehrt werden. Auch kann ein Verkauf möglich bleiben. Im Gegensatz zu einer Gesellschaft gibt es bei Stiftungen keinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Mal kann ich ein Familienmitglied unterstützen, mal ein anderes. Letztlich ist die Stiftung als „Holdingebene“ steuerlich attraktiv. Richtig gemacht, unterliegt sie nur der Körperschaftssteuer und nicht der Gewerbesteuer.
Pawel Blusz: Und jede Auszahlung aus der Stiftung unterliegt einer Besteuerung wie eine Dividende aus einer GmbH in Höhe von 25 %. Häufig wird als Kritikpunkt noch die Erbersatzsteuer bei deutschen Familienstiftungen angeführt. Auch dieser Punkt greift zu kurz, da das Vermögen außerhalb der Stiftung auch der Erbschaftsteuer irgendwann unterliegen wird, vielleicht in fünf, vielleicht in 40 Jahren. Bei der Stiftung steht dieser Zeitpunkt hingegen fest und kann optimiert werden. Auch kann man vor Ablauf der Frist noch gestalterisch agieren. Für sonstige Vermögen können auch Familiengesellschaften in der Rechtsform einer KG unter Nießbrauchsgestaltungen eine Lösungsidee sein.
Haben Sie auch Mandanten, die versuchen, die aktuelle Situation für Opportunitäten zu nutzen? Man kennt doch den Spruch, dass Vermögen in Krisenzeiten aufgebaut werden.
Pawel Blusz: Natürlich hat jede Medaille zwei Seiten. Aktuell erleben wir einen sehr starken Preisverfall bei Immobilien. Regional sehen wir Abschläge von 30 bis 50 %, sofern man in der Lage ist, den Kaufpreis aus Eigenkapital zu finanzieren. Die institutionellen Investoren, die bisher immer aufgrund professioneller Strukturen und Zugänge, die Transaktionen dominierten, ziehen sich zurück. Nun ruht hier der See still und die Zeit scheint gekommen für private Investoren und Single Family Offices. Sie können diese Zeit nutzen, um Immobilien günstiger zu erwerben und ggf. auf die kommenden Generationen etwas günstiger zu übertragen. Dadurch könnten sich die Werterholung und künftige Erträge in der nächsten Generation realisieren.
Dr. Maren Gräfe: Evtl. können sie dabei gleich Ankaufstrukturen mit den Kindern schaffen und ggf. mit Family & Friends größere Volumen erwerben, die erbschaftsteuerlich verschont sein könnten (sog. Wohnungsunternehmen). Wertabschläge sieht man zudem bei anderen Assetklassen. Beispielsweise können Unternehmensbeteiligungen im Private Equity oder VC-Bereich aufgrund gestiegener Finanzierungskosten sinken. Dies gilt im Fondsbereich vor allem für die Secondaries. Diese haben zwar meist kein fundamentales Problem, werden aber aktuell verstärkt verkauft, weil andere Assetklassen am Wert verloren haben und viele Investoren aufgrund von Anlagerichtlinien ein Rebalancing vornehmen und die nun übergewichteten PE-Fonds abstoßen müssen. Auch dieser Abschlag kann einmal für Investitionszwecke, aber auch für die Nachfolgeplanung genutzt werden.
Nach unserer Beobachtung kommen viele Kunden auch mit kreativen Ideen, wie man die gestiegenen Ausgaben und mögliche Steuererhöhungen auffangen könnte. Auch Wegzug ist immer wieder ein Thema. Sehen Sie aktuell viele Mandanten, die Deutschland verlassen?
Dr. Maren Gräfe: Eine Wegzugswelle aus rein steuerlichen Motiven sehen wir derzeit noch nicht. Der Ukraine-Krieg und die zusammenhängenden geopolitischen Gefahren haben allerdings vielen bewusst gemacht, dass man in Szenarien denken muss. Solche Mandanten suchen Optionen, wie sie in einer Notsituation ihre Familien und sich selbst in Sicherheit bringen können. Neuseeland, Kanada, Australien, Irland etc. sind Länder, die dann häufig auf die Agenda kommen. Sie erwerben Ferienimmobilien im Ausland, interessieren sich für Golden-Visa-Programme etc. Solche Themen begleiten wir derzeit häufiger.
Pawel Blusz: Was wir aktuell auch sehen, sind Mandanten, die sich Sorgen machen – nicht nur vor neuen Steuern, sondern auch hinsichtlich der Stabilität der sozialen Gefüge. Viele hängen an Deutschland, andere sind durchaus bereits jetzt sehr international aufgestellt. Der Gesetzgeber hat zum 1. Januar 2022 die sog. Wegzugsbesteuerung verschärft und die Mobilität innerhalb der EU signifikant eingeschränkt. Im Ergebnis sitzen Unternehmensinhaber in vielen Fällen in Deutschland fest. In solchen Fällen übertragen wir Unternehmensanteile auf deutsche oder ausländische Stiftungen und helfen Mandanten, die internationale Bewegungsfreiheit wiederzuerlangen. Sollten sich wirtschaftliche, steuerliche oder soziale Bedingungen in Deutschland verschärfen, möchten sie die Option haben, Deutschland auch verlassen zu können.
Wir leben tatsächlich in spannenden Zeiten. Vielen herzlichen Dank für das Gespräch und Ihnen beiden viel Erfolg!
Das Interview führte Maximilian Kleyboldt vom Netzwerk der Finanz- und Erbschaftsplaner e.V.
Dies ist ein Artikel aus unserem FINANCIAL PLANNING Magazin. Hier geht es zu der aktuellen Ausgabe: