Finanzstimmen

Anlegen in Zeiten von Corona

Die Coronakrise ist – jedenfalls in ihren Auswirkungen auf die westliche Welt – erst rund sechs Monate alt, aber bereits jetzt ist klar, dass sie die Welt verändert.

Ebenso wie künftig bessere Pandemievorbereitungen in gut aufgestellten Gesundheitssystemen für Gesellschaften überlebenswichtig sein können und Verhaltensänderungen beim Arbeiten, Reisen und Konsumieren unseren zukünftigen Alltag verändern dürften, so sicher ist es, dass die Erfahrungen aus der Coronakrise zu einem veränderten Blick auf das Investieren führen werden. Dies betrifft die Gewichtung einzelner Assetklassen in einem Portfolio, aber es betrifft auch die Zusammensetzung der jeweiligen Assetklassen selbst. Drei der stärksten Veränderungen seien im Folgenden erläutert.

Erstens: Eine der deutlichsten Konsequenzen aus dem pandemiebedingten ökonomischen Schock und der dadurch ausgelösten Reaktion der Wirtschaftspolitik ist die Rolle von Fixed Income.

So haben inzwischen nahezu alle bedeutenden Zentralbanken der industrialisierten Welt ihre Zinsen Richtung null oder sogar darunter gesenkt. Beispiellose, in der Wirtschaftsgeschichte nie da gewesene Ankaufprogramme sorgen zudem dafür, dass trotz massiv gestiegener Staatsausgaben und entsprechender Emissionsvolumina die Verzinsungen länger laufender Anleihen sehr niedrig bleiben.

Welche Funktionen aber, so ist an dieser Stelle zu fragen, soll eine Anleihe in einem gemischten Portfolio überhaupt erfüllen?

Sie soll vermutlich erstens das Durchschnittsrisiko des Portfolios reduzieren, wofür sich der Investor im Gegenzug mit einer im Vergleich zu anderen Assetklassen niedrigen Rendite begnügt. Diese Rendite ist nun in vielen Fällen negativ – oder anders ausgedrückt: Um auf diesen risikoarmen Teil des Portfolios noch eine positive Rendite zu erzielen, muss der Anleger mehr Risiko in Kauf nehmen.

Dies schwächt die Attraktivität von Anleihen. Zweitens aber, und das ist in der aktuellen Konstellation entscheidend, stellen Renditen nahe der absoluten Untergrenze die Ausgleichsfähigkeit von Anleihen im Falle eines Risk-off-Ereignisses infrage.

In der Vergangenheit sorgte etwa meist ein Aktiencrash für eine quasi automatische Flucht in sichere Häfen, traditionell US-Staatsanleihen, deutsche Bundesanleihen und weitere Anleihen mit gutem Rating, sodass deren Kurse stiegen und dadurch den Verlust bei der Aktienposition zum Teil kompensieren konnten. Um aber im Kurs steigen zu können, müssen die Anleiherenditen sinken können. Dies wiederum ist unmöglich, wenn sie sich bereits an der Untergrenze befinden. Die Konsequenz ist, dass Anleihen ihre Ballastfunktion für den Fall von Aktienkurseinbrüchen verlieren.

Zweitens: Wo ist der Ausweg?

Obwohl das Phänomen sinkender Fixed-Income-Renditen spätestens seit der Finanzkrise 2008/2009 (eigentlich schon wesentlich länger) bekannt ist, hat die Coronakrise die Herausforderungen für die Portfoliokonstruktion noch einmal merklich verschärft.

Der Grund besteht darin, dass die Renditen am bei Weitem liquidesten Anleihenmarkt der Welt, dem Markt für US-Treasury-Bonds, sich seit den koordinierten Antikrisenmaßnahmen von US-Schatzamt und -Zentralbank derart deutlich nach unten bewegt haben, dass die Suche nach Alternativen unausweichlich geworden ist.

Fündig werden Investoren genau hier: bei „Alternatives“.

Der zunehmende Strom an Zuflüssen in nichtklassische Anlageformen wie Private Markets (Private Equity und Private Debt), illiquide Assetklassen wie Immobilien oder Infrastruktur sowie die gern als „Liquid Alternatives“ bezeichneten Hedgefonds zeigt, dass Investoren danach streben, einerseits ihre Portfolios zu diversifizieren und andererseits die Einkommensströme, die früher zuverlässig aus dem Fixed-Income-Teil kamen, zu ersetzen.

Dieser Trend dürfte sich in den nächsten Jahren noch verstärken, weshalb wir glauben, dass der Markt für alternative Anlageprodukte, getrieben von sowohl Nachfrage als auch Angebot, weiter stark wachsen wird.

Drittens: Die Coronakrise, die völlig unerwartet über die Welt hereingebrochen ist, erinnert auf drastische Weise an die Notwendigkeit, Portfolios widerstandsfähiger zu machen.

Hier kann die Orientierung der Asset-Zusammensetzung nach ESG-Kriterien eine wichtige Orientierung sein. Immer deutlicher tritt zutage, dass ESG-konforme Anlagen ihren nichtkonformen Pendants in risikoadjustierter Betrachtung überlegen sind.

Anders ausgedrückt: Selbst wenn ESG-konformes Anlegen den Investor auf den ersten Blick in Form entgangener Rendite Geld kostet, dann wendet sich das Blatt bei Einbeziehung des Risikos.

Zu dieser nüchternen Abwägung der relativen Vorteilhaftigkeit kommt die Tatsache, dass über die kommenden Jahrzehnte durch den Generationenwechsel immer mehr Geld von Millennials angelegt werden wird, die per saldo eine höhere Affinität zu Nachhaltigkeit haben. Dies gilt ebenso für Frauen, deren Anteil unter den Investoren ebenfalls zunehmen wird.

Zu einem gut aufgestellten Portfolio gehört in der Postcoronawelt also nicht nur ein angemessener Anteil an nichtkonventionellen Anlagen, also ‚,Alternatives“, sondern auch eine risikobewusstere und damit an Nachhaltigkeitskriterien orientierte Allokation.


Dies ist eine Finanzstimme von Dr. Martin Lück, Managing Director, Chief Investment Strategist für Deutschland, Österreich, Schweiz und Osteuropa, BlackRock