Kolumne

Ende der „Reopening“-Euphorie – aber nicht des Post-Corona-Aufschwungs

Der behördlich verordnete Neustart in den USA hat über den Verlauf der letzten Monate enorme Aufholeffekte losgetreten und die Wachstumsrate jenseits des Atlantiks in lange nicht gesehene Höhen katapultiert. Spätestens seit der Jahresmitte dieses Jahres kristallisiert sich jedoch heraus, dass das „Peak Growth“ – also das Hoch in Sachen Wachstumsmomentum – im Zuge der Corona-Konjunkturerholung in den USA im ersten Halbjahr 2021 erreicht wurde und somit bereits hinter uns liegt. Auch in China läuft es bei Weitem nicht mehr so dynamisch wie noch vor einigen Monaten. Abzulesen etwa am Caixin Composite Einkaufsmanagerindex, der jüngst auf den niedrigsten Stand seit April 2020 gefallen ist. Kurzum: Die beiden Wachstumslokomotiven der bisher erlebten globalen Post-Lockdown-Erholung schwächeln etwas. Gleichzeitig ist das Narrativ, nach dem der seit Frühjahr zu beobachtende starke Inflationsanstieg uns zwar noch eine Weile erhalten bleibt, letztlich aber temporärer Natur sein dürfte, nahezu allen Anlegern gewahr geworden.

Der Rückgang der Renditen von deutschen Bundesanleihen und US-amerikanischen Staatsanleihen seit dem späten Frühjahr ist Spiegelbild eben jener beschriebenen Tendenzen. Schließlich ist durch sie die Erwartung, dass es womöglich zu einer voreiligen Straffung der Geldpolitik in den USA noch in diesem Jahr kommen könnte, weitestgehend vom Tisch.

Aber wie geht die Reise von hier aus weiter?

Die Erholung nach der Krise, die weiterhin völlig atypisch verläuft und somit nicht mit vorangegangenen Aufschwüngen verglichen werden kann, ist und bleibt keine Einbahnstraße. So viel dürfte feststehen. Trotz der nachlassenden Dynamik in den USA und China werden die Wachstumszahlen dort dennoch auf einem insgesamt überdurchschnittlichen Niveau bleiben, selbst wenn die größte Dynamik erst einmal raus ist. Anders das Bild in Europa. Hier wird das Wachstumshoch sogar wohl erst in der zweiten Jahreshälfte dieses Jahres erreicht – der deutlich schleppender angelaufenen Impfkampagne in den allermeisten großen EU-Ländern „sei Dank“.

Auch nach 2021 sollte die Weltwirtschaft aufgrund fortgesetzter und teilweise noch an Umfang gewinnender Fiskalprogramme deutlich überproportional wachsen. Die USA dürften sich spätestens im kommenden Jahr oberhalb des Wachstumspfads von vor der Krise wiederfinden. In Europa werden wir Anfang des kommenden Jahres zumindest wieder das Output-Niveau von Anfang 2020 erreichen. Insgesamt sollte der Aufschwung im kommenden Jahr aus einer globalen Perspektive zudem sogar noch mehr an Breite gewinnen, sobald es auch den Schwellenländern gelingt, das Virus besser in den Griff zu bekommen. Folgender Punkt ist somit entscheidend: Ein Ende der „Reopening-Euphorie“ ist bei Weitem nicht gleichzusetzen mit einem generellen Ende des Post-Corona-Aufschwungs. Ganz im Gegenteil.

Höhere Verschuldungskennziffern, die unter anderem mit erhöhten Infrastruktur- und Klimaschutzinvestitionen einhergehen, werden von vielen Regierungen dabei vermutlich sogar als Erfolg verkauft, da sie bedeuten, dass es gelingt, der jeweiligen Wirtschaft weiter unter die Arme zu greifen. Diese – zumindest gefühlte – Abkehr vom neoklassischen angebotsorientierten Ansatz in der Wirtschaftspolitik hin zu einer stärker nachfrageorientierten Politik dürfte uns übrigens noch längere Zeit begleiten.

Unter dem Strich spricht dieses Gesamtbild für einen Einstieg in den Ausstieg der US-Notenbank aus ihrem Ankaufprogramm im kommenden Jahr – womöglich in der ersten Jahreshälfte. Je näher das Jahresende rückt, desto mehr werden die Märkte dies verinnerlichen und entsprechend auch stärker preisen. Gleichzeitig gibt es gute Argumente dafür anzunehmen, dass Zinsanstiege früherer Anstiege eher unwahrscheinlich sind. Nur zur Erinnerung: Im Jahr 2013 stiegen zehnjährige US-Renditen nach der Tapering-Ankündigung des damaligen Fed-Chefs Ben Bernanke innerhalb weniger Wochen um mehr als 130 Basispunkte.

Gegen ein „Taper Tantrum Reloaded“ am Rentenmarkt in den kommenden Monaten sprechen die weiterhin enormen Knappheiten bei Bundesanleihen und Treasuries sowie natürlich vor allem der Strategieschwenk der US-Notenbank, der impliziert, dass in den kommenden Jahren eine Inflation von deutlich oberhalb der Zwei-Prozent-Marke anvisiert wird – ergo grundsätzlich ein lockererer geldpolitischer Kurs gefahren wird. Auch die erheblich bessere, weil behutsamere Aufgleisung des Ausstiegs durch die Fed sollte ihren Teil zur Verhinderung eines Crashs des Rentenmarkts beitragen.

Letztlich wird der Ausstieg aus dem Ankaufprogramm aber wohl dennoch zu höheren Renditen bei Anleihen führen, die als sichere Häfen gelten. Der jüngste Renditerückgang ist aus meiner Sicht also nur eine Verschnaufpause auf dem Weg hin zu moderat höheren Renditen – nicht aber das generelle Ende der Kletterpartie.


Autor:
Felix Herrmann
CFA, Chef-Volkswirt
ARAMEA Asset Management


Dies ist eine Kolumne von ARAMEA Asset Management im aktuellen FINANCIAL PLANNING Magazin.