Karriere

Wie Finanzplaner ihre Kunden beraten sollten

Sie werden schockiert sein, aber es funktioniert

Von Ronald Sier

Darf ich kurz mal brutal ehrlich sein? Die absolute Wahrheit sagen?

Sie wird weh tun. Sie ist brutal. Sie ist hässlich. Sie kommt unerwartet. Tatsächlich habe ich bisher nichts gesagt, aus Respekt möchte ich Ihnen jetzt aber doch die Wahrheit sagen. Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass sie Ihnen NICHT gefallen wird. Hier kommt sie also:

Sie wissen ja, wie Sie Ihre Kunden bisher bei Schuldenproblemen beraten haben. Sie haben alles versucht und es hat einfach nicht funktioniert, richtig? Das liegt nicht daran, dass Sie bei der Schuldentilgung nicht die richtige Struktur gefunden haben. Es liegt nicht an trivialen Budgetierungstricks. Es liegt auch nicht an der Art und Weise, wie Sie mit Inkassobüros umgehen. Es liegt daran, dass Sie Ihre Kunden bisher falsch beraten haben.

Habe ich gerade gesagt, dass Sie falsch beraten? Ja, das habe ich. Es tut mir leid. Aber nur um eines klarzustellen: Das ist jetzt kein Trick, bei dem sich irgendwann herausstellt, dass „falsche Beratung“ eine geschickte Umschreibung für etwas weit weniger Beleidigendes ist. Ich sagen Ihnen das wirklich nur, weil ich es gut meine. Weil Ihr analytisches Gehirn Sie austrickst. Es bringt Sie dazu, Ihren Kunden zu sagen, dass sie zuerst ihre Kreditkartenschulden mit einem Zinssatz von 20 bis 30 Prozent tilgen sollten. Weil dieser Zinssatz eindeutig der höchste von allen ist. Klingt erst einmal logisch und rational, richtig? Zuerst hochverzinsliche Schulden tilgen, um die Wirkung ihres Geldes zu optimieren.

Sie irren sich. Es gibt eine wirklich wichtige Sache, die Sie vergessen. Nämlich:

Sie haben den „Schuldenschneeball“ nicht bedacht

Einer der angesehensten und beliebtesten Gurus für persönliche Finanzen ist Dave Ramsey. In seinen Büchern und in seiner Radiosendung berät Ramsey Einzelpersonen und Familien bei ihren Problemen. Meistens ist ihr Hauptproblem eine zu hohe Verschuldung. Eine von Ramseys bekanntesten und umstrittensten Techniken zur Schuldenbekämpfung ist der Schuldenschneeball. Umstritten?

Ja, weil ich mir sicher bin, dass Ramseys Rat Sie schockieren wird.

Worum es beim Schuldenschneeball geht:

1.    Listen Sie alle Ihre Schulden auf.

2.    Ordnen Sie sie in der Reihenfolge vom kleinsten bis zum größten Betrag.

3.    Leisten Sie nur die Mindestzahlungen für jeden Schuldbetrag, mit einer Ausnahme:

4.    Nachdem die Mindestzahlungen geleistet wurden, sollten alle verfügbaren Mittel für den ersten und kleinsten Schuldbetrag auf der Liste verwendet werden.

Der kleinste Schuldbetrag? Genau. Weil der kleinste Schuldbetrag relativ schnell getilgt werden kann, so dass Ihr Kunde ihn von seiner Liste streichen und dann alle verfügbaren Mittel nutzen kann, um die an zweiter, dritter und vierter Stelle stehenden Schuldbeträge zu tilgen.

Wenn Ihre Kunden jeden Schuldbetrag einzeln abhaken, können sie eine Mindestzahlung beseitigen und haben dadurch mehr Mittel zur Verfügung, um den nächsten Schuldbetrag anzugehen. Aus diesem Grund wird die Strategie als Schuldenschneeball bezeichnet. Mit jedem getilgten Schuldbetrag wächst und rollt der „Schneeball des Geldes“, der immer wieder auf den nächsten Schuldbetrag angewendet wird, etwas schneller.

Fällt Ihnen etwas auf? Zinssätze werden nicht erwähnt. Wenn es sich beim geringsten Schuldbetrag Ihrer Kunden um eine überfällige Stromrechnung ohne jegliche Zinsbelastung handelt, empfiehlt Ramsey dennoch, sie zurückzuzahlen, bevor eine Kreditkartenrechnung mit Zinssätzen von 20 Prozent oder mehr in Angriff genommen wird.

Ich habe Sie gewarnt. Dieser Rat schockiert Sie, oder? Warum?

Weil Ihre Kompetenzen im Umgang mit Zahlen NICHT die Lösung für das Problem Ihres Kunden sind. Ramsey zufolge geraten Menschen in finanzielle Schwierigkeiten, weil sie die Kon-trolle verlieren. Sie fühlen sich angesichts eines Schuldenbergs machtlos. Das Problem? Sie können Machtlosigkeit nicht mit Mathematik bekämpfen.      

Sie bekämpfen sie, indem Sie den Menschen beweisen, dass sie gewinnen können.

Wenn Sie bei einer hoch verzinsten Kreditkarte 185 US-Dollar für einen Schuldbetrag von 20.000 US-Dollar aufwenden, werden Ihre Kunden sich immer noch hoffnungslos fühlen. Wenn Sie jedoch eine überfällige Stromrechnung in Höhe von 185 US-Dollar vollständig abbezahlen, können Sie sie von Ihrer Liste streichen. Sie haben einen Sieg über einen Schuldbetrag errungen.

Das können Sie doch besser, oder? Sie sind immer noch nicht überzeugt, richtig? Mal sehen, was die Wissenschaft dazu zu sagen hat.

Die kleinste Veränderung hat den größten Einfluss

Die Verhaltensforscher Scott Wiltermuth und Francesca Gino glaubten, dass die Motivation von Menschen, eine Belohnung zu erhalten, durch die Kategorie beeinflusst werden könnte, in die diese Belohnung eingestuft wurde.

Nach „Überzeugen mit einfachen Kniffen“:

„In einer ihrer Studien wurden die Teilnehmer gebeten, eine einfache zehnminütige Schreibaufgabe gegen eine Belohnung zu erledigen. Die möglichen Belohnungen bestanden aus einer Mischung preiswerter Gegenstände, die in zwei großen Plastikbehältern ausgestellt waren, aus denen die Teilnehmer eine Belohnung auswählen konnten. Allen Teilnehmern wurde jedoch mitgeteilt, dass sie, wenn sie (freiwillig) eine zweite zehnminütige Aufgabe erledigen würden, also insgesamt 20 Minuten arbeiten, einen zweiten Gegenstand aus den verfügbaren Belohnungen auswählen könnten.

Unwissentlich waren die Teilnehmer zufällig einer von zwei Gruppen zugeordnet worden, und es gab einen wichtigen Unterschied in den Informationen, die den beiden Gruppen gegeben wurden. Den Teilnehmern der ersten Gruppe wurde gesagt, dass sie sich, wenn sie die zusätzliche Schreibaufgabe abgeschlossen hätten, ihre zweite Belohnung aus einem beliebigen Behälter aussuchen könnten.

Im Gegensatz dazu wurde der zweiten Gruppe gesagt, dass die beiden von ihnen ausgewählten Belohnungen, wenn sie die zusätzliche Aufgabe abgeschlossen hätten, aus unterschiedlichen Behältern stammen müssten, da die Behälter ‚zwei Kategorien von Belohnungen‘ enthielten.“

Bemerkenswerterweise waren trotz der Tatsache, dass allen Teilnehmer bewusst war, dass die beiden Behälter dieselbe Auswahl an Gegenständen enthielten, die Teilnehmer der zweiten Gruppe dreimal motivierter, die zusätzliche Aufgabe zu erfüllen, als die der ersten Gruppe. Noch überraschender war vielleicht die Tatsache, dass die Freude an den Schreibaufgaben bei den Teilnehmern, denen mitgeteilt wurde, dass sie aus zwei statt aus einer Kategorie wählen würden, erheblich höher war. Warum? Laut Wiltermuth und Gino hatten die Leute durch die Aufteilung der Belohnungen in (obgleich bedeutungslose) Kategorien das Gefühl, etwas zu „verpassen“, wenn sie die zusätzliche Aufgabe nicht erledigen würden.

Wenn Sie versuchen, Menschen dazu zu bewegen, Aufgaben zu erledigen, indem Sie Anreize oder Belohnungen anbieten, kann die Aufteilung dieser Anreize oder Belohnungen in verschiedene Kategorien, ohne dabei deren wirtschaftlichen Wert zu erhöhen, den psychologischen Wert steigern, da die Menschen nichts verpassen wollen.

Was hat das nun mit Ihnen als Finanzplaner zu tun?

Wenn Sie den Ratschlägen von Dave Ramsey folgen, sollten Personen mit mehreren Verbindlichkeiten zuerst ihre kleineren Schuldbeträge abbezahlen, da dies verständlicherweise ein Gefühl des Fortschritts in Richtung finanzieller Freiheit vermittelt. Natürlich sagt Ihnen Ihr analytisches Gehirn, dass dies die Sache noch schlimmer macht, weil größere Schulden einfach mehr Zinsen akkumulieren und den Schuldenpool vertiefen.

Finanzplaner könnten helfen, indem sie anbieten, größere Verbindlichkeiten in zwei oder mehr kleinere Schuldbeträge aufzuteilen, z. B. Schuldbetrag A und Schuldbetrag B, was die Belastung des Schuldners möglicherweise nicht finanziell, aber zumindest psychologisch reduzieren würde.

Diese kleine Änderung, die die Aufmerksamkeit der Menschen auf einen größeren, kostspieligeren Schuldbetrag lenken würde, könnte einen großen Unterschied bei der Reduzierung der gezahlten Zinsen bewirken.

Das Fazit

Bei der Finanzplanung geht es nicht nur um Vermögensstrukturierung, Altersvorsorge oder sogar um den Finanzplan selbst. Es geht auch um Sie. Höchstwahrscheinlich ist der Finanzplaner, der Sie aktuell sind, nicht in der Lage, für Ihre Kunden eine Art Psychologe zu sein. Weil das eine große und wahrscheinlich unnötige Veränderung wäre, oder? Aber warum nicht etwas kleinere Schritte gehen?

Optimieren Sie Ihren Finanzplanungsservice, indem Sie Ihren Schuldnern Prämien anbieten, die in zwei verschiedene Kategorien fallen. Erlauben Sie ihnen erst dann den Zugriff auf die zweite Belohnungskategorie, nachdem sie eine Prämie aus der ersten verdient haben. Eine solche Vereinbarung würde die Menschen nicht nur dazu ermutigen, Schulden abzuzahlen, sondern sie könnte sogar dazu führen, dass sie sich über die Bemühungen freuen.

Und falls das so gar nicht Ihre Sache wäre, warum helfen Sie Ihren Kunden dann nicht zumindest, indem Sie größere Schuldbeträge aufteilen? Das ist eine kleine Änderung, die jeder -Finanzplaner für seine Kunden vornehmen sollte.

Sind Sie bereit, dieser Finanzplaner zu sein? Sie haben die Wahl.

Ihr Ronald Sier